Emotionen aus Blickwinkel der Chinesischen Medizin
Emotionen aus dem Blickwinkel der Chinesischen Medizin .
Eine gängige Annahme ist, dass es:
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grundsätzlich gute und schlechte Emotionen gibt
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dass Menschen nur glücklich sein können, wenn sie überwiegend Gefühle haben, welche wir als positiv deklarieren.
Aus Sichtweise der Chinesischen Medizin gibt es keine grundsätzlich “schlechten” Emotionen, sondern alle Emotionen sind erstmal wichtig und sinnvoll. Nur wenn sie stagnieren, egal welche, agieren diese dann negativ.
In der Chinesischen Medizin versteht man Emotionen als Ausdruck des Veränderungsdrangs (Justierungsbedürfnis) unserer komplexen Beziehungskonstellationen zur Umwelt.
Dem liegt die Philosophie zugrunde, dass jedes existierende Phänomen, Trennungs- und Nicht-Trennungsaspekte (Yin und Yang), in Beziehung zur Umwelt haben muss, um existieren zu können. Diese werden als die Konditionalaspekte (Bedingungen) bezeichnet, die sich in relativen Sein- und gleichzeitig relativen Nicht-Sein- Verhältnissen ausdrücken.
Durch diese Gleichzeitigkeit von Trennung und Nicht-Trennung, ist jedes Phänomen stets in Transformation zur Umwelt.
Die Emotionen sind Ausdruck der jeweiligen Prozessrichtungen dieser Transformationen auf den verschieden Ebenen des Menschen.
In der Chinesischen Medizin spielen die 5 Grund-Emotionen eine übergeordnete Rolle, da sie den prinzipiellen Wandel der individuellen Trennungs- und Nicht-Trennungsbedürfnisse ausdrücken.

Die fünf Grund-Emotionen sind: Angst, Unzufriedenheit, Freude, Sorge und Trauer. Sie alle werden als notwendigen Ausdruck unserer komplexen menschlichen Regulationsbedürfnisse verstanden. Sie bedingen nicht nur einander, sondern sind Antrieb und gleichzeitig Ausdruck des individuellen Seins in Bezug zu allen Beziehungen und Bedingungen.
Von den genannten Emotionen werten wir oft nur die Freude als positiv.
Jedoch wären wir ohne Angst, Unzufriedenheit, Sorge oder Trauer überhaupt nicht überlebensfähig. Probleme entstehen erst dann, wenn aus Freude- Hysterie, aus Sorge- Schwermut , aus Trauer- Gram, aus Angst- Lähmung und aus Unzufriedenheit- Wut oder Haß werden. Dann spricht man von einer emotionalen Stagnation, welche disharmonisch wahrgenommen wird, aber eigentlich eine notwenige Beziehungsjustierung dringend anzeigt. Alle weiteren Emotionen sind Kombinationen oder Prozessaspekte der 5 Grund-Emotionen. Die vielschichtigen Wechselwirkungen der Emotionen in den verschiedenen Stadien, Ebenen und Beziehungen ergeben das Denken.
Damit es nicht zu einer disharmonischen Stagnation der Grund-Emotionen kommt, sind 3 Faktoren entscheidend:
1. Richtiges Maß der Veränderung
2. Richtiges Tempo der Veränderung
3. Richtige Beziehungsrichtung der Veränderung
Im folgenden betrachten wir die Grund-Emotionen genauer.
Angst
In der Klassischen Chinesischen Philosophie versteht man Emotionen als Ausdruck des steten Wandels unsere Beziehungskonstellation: Trennung und Nicht-Trennung (Yin und Yang). In diesem Wandel drückt Angst unsere stabilste Seins- und Trennungsebene aus. Dieses stabile Yin/Yang-Verhältnis wird nach Wu Xing auch als “Wasser-Phase” bezeichnet.
Angst lässt uns damit unsere Grenzen spüren und so beschützen. Ohne Angst wäre der Mensch unfähig zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden. Wir könnten unsere eigenen Bedürfnisse, nicht von denen Anderer unterscheiden. Wir könnten unsere Seins-Existenz nicht von anderen Existenzen differenzieren.
Angst als disharmonische Stagnation entsteht, wenn unsere Trennung zur Umwelt zu stark wird (Isolation) oder unsere Trennung zur Umwelt zu schwach wird (Exposition). Das kann an äußeren oder/und inneren Bedingungen liegen und zeigt sich in 4 primären Stagnationen.
Mutige Menschen sind also nicht ohne Angst, sondern fähig mit Angst verantwortungsvoll umzugehen.
Unzufriedenheit
Im Sinne der zwangsläufigen Wandlung eines jeden Phänomens drückt das Gefühl der Unzufriedenheit unsere relative Vergehen-Ebene aus. Diese wird im Wu Xing auch als Wandlungsphase “Holz” bezeichnet.
Unzufriedenheit ist die Wahrnehmung eine Notwendigkeit zur Veränderung, weg von der Ist-Position, weil diese nicht mehr in korrekter Beziehung zur veränderten Realität steht. (Im Inneren wie im Äußeren)
Ohne Unzufriedenheit würden wir weder den Moment, noch das Maß oder die Richtung der Veränderung erfassen.
Eine Stagnation dieser notwendigen Anpassung führt dann zu Ärger, Wut oder sogar Haß. Die Stärke der Stagnation zeigt sich in den verschiedenen Steigerungen einer stagnierten Unzufriedenheit.
Es wäre nicht weise, eine reine Zufriedenheit, im Sinne einer Abwesenheit von Unzufriedenheit, anzustreben.
Wieder geht es um Maß und gutem Umgang mit dieser Emotion, um sinnvolle Veränderungen zu erlauben.
Freude
Im Wandel von Sein, Vergehen, Nicht-Sein und Werden, manifestiert die Emotion Freude alle relativen Nicht-Sein-Aspekte und damit unsere anteilige Zugehörigkeit zum “Nicht-Ich”.
Dadurch relativiert Freude (Öffnung, Nicht-Trennung) die Trennungsnatur von Angst.
Diese Qualität wird auch als Wandlungsphase “Feuer” bezeichnet.
Die Emotion Freude öffnet uns und lässt uns wahrnehmen, nicht allein zu sein. Es wird möglich, uns selbst zu relativieren, neue Beziehungen zu entdecken und Stagnationen zu lösen. Situationen sind leichter und weniger absolut. (Nicht-Sein-Qualität von Freude).
Im Gegensatz zur Unzufriedenheit, die eine sehr gerichtete Handlung zur Justierung erfordert, ermöglicht Freude eine ungerichtete Beziehungsbewegung. Diese Qualität ist aber sehr wichtig für eine wirkliche Veränderung, da eine rein absichtsvolle Handlung (gerichtet), keine wirkliche Transformation erlauben würde.
Wenn ich genau das erreichen würde, was ich mir vorgestellt habe, hat sich eigentlich nichts verändert, weil sich nur meine Ausgangsvorstellung bestätigt hat.
Wirkliche Veränderung ist nur durch Zulassen des Unbekannten (Nicht-Ich) möglich. Einzig die Beziehung zum Nicht-Ich erzeugt tatsächliche Transformation. Und durch eine gesunde Beziehung zur eigenen Stabilität (Sein/Ich), ist diese Transformation dann auch authentisch und bedient die Wirklichkeit der Regulationsbedürfnisse.
Dazu müssen wir der Emotion Freude aber genug Raum im Alltag geben. Das gelingt durch Handlungen, die nicht Ziel-orientiert sind, sondern verhältnismäßig mehr Weg-orientiert. Durch diese “Weg-Orientiertheit” verringert sich der gerichtete Fokus auf eine Ziel-Zukunft und lässt den Blick frei für das Unbekannte.
Stagnierte Freude im Sinne einer Disharmonie führt zu Hysterie, Unsicherheit, Zerstreutheit und disharmonischer Angst.
Sorge
Im steten Wandel von Sein, Vergehen, Nicht-Sein und Werden, manifestiert die Emotion Sorge die Komplexität unserer vorhandenen Beziehungen. Die alles verbindenden Beziehungsaspekte werden auch als Wandlungsphase “Erde” bezeichnet.
Durch die Wahrnehmung von Sorgen, können wir unsere Handlungen priorisieren und Wichtigkeiten einschätzen. Diese Prioritäten ergeben sich durch die Tiefe und Stabilität der einzelnen Beziehungen.
Ohne Sorgen wären wir also nicht fähig zu erfühlen, was für eine Aufmerksamkeit eine bestimmte Situation erfordert. Auf welche äußeren oder inneren Bedürfnisse reagieren wir in welchem Maße?
Frei von Sorgen zu sein, würde uns praktisch als Sozialwesen verhindern. Wir könnten nicht mit anderen Menschen zusammenarbeiten und nicht für uns selbst sorgen. Mitgefühl ist eine Qualität, die durch Beziehungsverhältnisse kultiviert wird und sich in Sorgen konkretisiert.
Die Stagnation darin, ist wieder die disharmonische Ausprägung dieser Wandlungsphase. Sie zeigt sich in Schwermut, Grübelei, Überforderung, Verwirrung und Handlungsunfähigkeit.
Um eine disharmonische Entwicklung zu verhindern, bedarf es einen hohen Anspruch an Beziehungsqualität, Selbstehrlichkeit und Selbstannahme.
Trauer
Im Wandel von Sein, Vergehen, Nicht-Sein und Werden, manifestiert die Emotion Trauer grundsätzlich die Werdens-Prozesse des Menschen. Dieses Werden wird mit der Wandlungsphase “Metall” beschrieben.
Damit Neues entstehen kann, muß Altes zwangsläufig weichen. Um konkret zu spüren, was wir in welchem Maße loslassen müssen, empfinden wir Trauer. Diese Emotion hat eine sehr ordnende und kontrollierende Qualität.
Ohne die Fähigkeit zu trauern, würden wir nicht wissen, welche spezifischen Beziehungen sich wie verändert haben. Wir würden die ehrliche Abgrenzung zum Vergangenem verpassen und keine gesunde Beziehung zur Gegenwart entwickeln können.
Wenn der gerichtete Fokus bei Unzufriedenheit (Holz) nach außen geht, ist er bei Trauer (Metall) ebenfalls gerichtet, aber nach innen!
Das Ich wird neu abgegrenzt und die Stabilität des Seins neu konstelliert. Beide Emotionen haben eine stark transformierende Eigenschaft.
Trauer als disharmonische Stagnation zeigt sich in Gram, Depression oder scheinbar grundloser Traurigkeit.
Wenn sich diese Stagnation löst, wandelt sich Trauer in Wertschätzung und fördert die Selbstannahme.
Alle 5 Grundemotionen sind essenziell für unsere körperliche und geistige Gesundheit. In ihrer Gleichzeitigkeit balancieren sie sich gegenseitig und lassen so eine harmonische Transformation und Entwicklung zu.
Unausgewogenheit im Sinne von zu viel oder zu wenig, entsteht immer durch Stagnation. Gesundheit und Zufriedenheit sind keine statischen Zustände, die erreicht und gehalten werden können, sondern sich im steten Wandel neu justierende Prozesse.
In der Klassischen Chinesischen Medizin gibt es keine hierarchische oder konzeptionelle Unterscheidung zwischen Geist (Emotionen) und Körper. (Im Gegensatz zur traditionellen abendländischen Denkkultur.)
Der Körper ist die dynamische Manifestation der geistigen Prozesse und die Emotionen sind die Transformations-Bedürfnisse dieser Körperlichkeit.
Diese Herangehensweise eröffnet enorme therapeutische und selbstverantwortende Möglichkeiten.
Alle Methoden der Chinesischen Medizin beinhalten diese Konzepte.
Kräuterrezepturen, Qigong-Übungen, Tuina, Akupunktur, Lebensführung und Diätetik.
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Autor: Andreas Kühne, Thammavong Schule, 2025